Stylectrical – Von Elektrodesign, das Geschichte schreibt

Herr Silencer hat eine sehr clever gemachte Ausstellung besucht und ist davon so begeistert, das er darüber berichten muss.

Wie und was bei Apple in Kalifornien designt wird hat Einfluss auf unser aller Leben, ganz egal ob wir ein Apple-Produkt besitzen oder nicht. Das ist nur eine der vielen Erkenntnisse, die man als Besucher aus der Ausstellung mit dem sperrigen Name „Stylectrical – Von Electrodesign, das Geschichte schreibt“ mitnehmen kann. Weitere Weisheiten: Apple hat noch nie etwas erfunden, klaut hemmungslos bei deutschen Designern und manipuliert durch Andeutungen.

So stark verkürzt klingt es, als ob die Ausstellung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe von Apple-Hassern gemacht worden wäre. Tatsächlich spürt man eine professionelle Distanz der Macherinnen (das Team besteht fast ausschließlich aus Frauen) dem Thema der Ausstellung gegenüber, aber auch eine gewisse Grundsympathie. Die Distanz kann man gar nicht hoch genug anrechnen, schliesslich ist es bei Apple-Produkten leicht in die Fanboy bzw. -girl-Falle zu tappen und sich entweder zum Jubelperser zu machen oder in der Begeisterung für die Geräte an sich zu verlieren. Wie leicht wäre es gewesen mit einer Apple-Ausstellung erfolgreich zu sein, wenn man einfach einen Raum mit Altelektronik vollstellt und die antiken Kisten und die besuchenden Nerds der Zwiesprache überließe?

Von den fast 400 Exponaten stammt weniger als die Hälfte von Apple.

Beides hat das Team um Kuratorin Ina Grätz sorgfältig vermieden. Das sich die Ausstellung nicht auf Apple-Lobhudelei reduziert ist nur ein Aspekt, der sie wohltuend von anderen Ausstellungen abhebt und zu etwas Besonderem macht. Überraschend ist die Kernidee, Appledesign in der Welt des Gebrauchs-, Technologie- und Modedesigns zu verorten und Querverbindungen zu anderem amerikanischem und europäischem Design aufzuzeigen.

Dabei wird man als Besucher ganz sanft an das Thema herangeführt: Ein Vorraum ist mit den ersten iMacs, diesen bunten Plastikknubbels, vollgestellt. Über Texte (Alternativ: QR-Codes, die auf Texte verweisen) wird erläutert, dass transluzenter Kunststoff DER Designrenner in den bunten 90er Jahren war, und wie das ungewöhnliche Design und die Idee eines All-in-One-Computers „damals“, als Rechner noch nicht in heutiger Weise verbreitet waren, die Wahrnehmung von Computern veränderte.

Von Bondi Blue bis Quietschorange: Den ersten iMac gab es in vielen Designs, jeder Käufer konnte die Farbe erwerben die ihm lag.

DER Designrenner der 90er: Transparenter und translucenter Kunststoff.

Dann leitet die Ausstellung langsam zum erkenntnistheoretisch wertvollen Teil über, der gleichzeitig das Alleinstellungsmerkmal ist: In zahlreichen Filmen interviewt Kuratorin Grätz auf ebenso intelligente wie sympathisch linkische Art ehemalige Apple-Designer, Freunde von Apple-Chefdesigner Johny Ives, Modedesigner, Analysten und viele andere mehr. Durch die Interviews, die auf Videoinstallationen zwischen ausgestellten Geräten ablaufen, ergibt sich langsam ein immer deutlicheres Bild über Apples Design, wo es seine Wurzeln hat, was es bedeutet und wie es die Welt beinflusst. Rund herum stehen immer wieder interessante und zum Teil auch seltene Exponate:

Seltenes Stück: Ein eMate 300, das Newton Travelbook von 1997.

Von Janoathan Ives designt: 20th Anniverary Mac, 1997 zum Schnäppchenpreis von 7.500 USD angeboten.

Von Jonathan Ives designt: 20th Anniverary Mac, 1997 zum Schnäppchenpreis von 7.500 USD angeboten.

Ein NeXTcube von Steve Jobs Firma NeXT, die er leitete nachdem er bei Apple rausgeflogen war. Das gezeigte Stück ist von 1990.

Fernseher mit nur einem "Home-Button": "Das Versprechen von Einfachheit und Funktionalität, das Apple regelmäßig erfüllt."


Aber nicht nur alte Geräte werden gezeigt, die Ausstellung reicht bis zur Gegenwart:

Airport, Timecapsule und AppleTV, Vergangenheit und Gegenwart.


„Less, but Better.“
Weniger, aber besser. Das ist ein Leitspruch von Dieter Rams, einem deutschen Industriedesigner, der lange Jahre lang z.B. für Braun gearbeitet hat. Diesen Satz haben Steve Jobs und Johny Ives verinnerlicht und sich zudem bei Rams´ Designs, nun, inspirieren lassen. Das sei aber OK so, betonen unisono Designer, darunter welche von der Ulmer Hochschule für Industriedesign und Weggefährten von Rams, in den Interviews. Design brauche Wurzeln und muss entwickelt werden, und deshalb sei es absolut in Ordnung, dass Apple die Designs von Rams nehme und „ihnen huldigt“. Das Wort „Diebstahl“ oder „Plagiat“ benutzt erstaunlicherweise niemand, obwohl es einem auf der Zunge liegt, wenn man den direkten Vergleich sieht:

Links: Transistorrado von Braun aus den 50ern. Rechts: iPod von 2002.

Links: iMac, Rechts: Lautsprecher von Braun.

Links: Taschenrechner von Braun, Mitte: iPhone 3GS, Rechts: Design der Taschenrechner-App auf dem iPhone 1: Exakt dem Taschenrechner nachempfunden.

iPhone 4, Leicakamera: Verblüffende Übereinstimmung bis in Details.

Als Gegenpol zeigt die Ausstellung dann Gegenstände und Kleidung, die von Apples Designs inspiriert wurden. Auch hier verlieren die Ausstellungsmacherinnen ihren roten Faden nicht aus den Augen. Hier ist nichts zum Selbstzweck ausgestellt, sondern alles verdeutlicht im Kontext einen Teilaspekt von Apples Design und den Impulsen, die es in ganz andere gesellschaftliche Bereiche schickt. Dabei kommen durchaus auch skurrile Dinge zustande, der bekannte „EiPott“ ist gegen die folgenden Exponate harmlos:

Prototypen des ersten MP3-Players der Welt.

Ein unpraktisches iPod-Dock.

"iBelieve" Kappe und Lanyard für den ersten iPod Shuffle.

Hässlich wie die Nacht und genauso schwarz: So stellt sich die BMW Design Group einen PC vor, den Spieler toll finden.

Der Blick nach links und rechts über den Tellerrand hinaus verwässert dabei nichts, sondern ist erfrischend und zugleich fokussieremd. Interessant sind z.B. die Informationen zu Design als Unternehmensfaktor. Design sei früher als reiner Kostenfaktor gesehen worden. Mittlerweile gilt es als DAS Mittel überhaupt, um auf sich aufmerksam zu machen und sich von den Mitbewerbern abzuheben. Es gibt sogar eine Formel, um den Designwert eines Unternehmens zu berechnen. Vor dem Hintergund, das letztlich das Design des iMacs Apple in den 90er Jahren vor dem Bankrott gerettet hat, haben solche Aspekte eine besondere Würze.

Formel zur Errechnung des Designwertes vom Red Dot Institut.

In der Ausstellung kommen stellenweise auch durchaus kritische Töne zum tragen. Apple jahrelange Inkonsequenz und Innovationslosigkeit in Sachen Umweltschutz, zum Beispiel. Oder die subtile Manipulation der Konsumenten durch Andeutungen, die positive Assoziationen auslösen, angefangen bei dem berühmten Satz der einem beim Öffnen einer Verpackung entgegenspringt bis hin zum „atmenden“ Standbylicht der Notebooks.

"Designed by Apple in California" - Positive Assoziatonen zum Sonnenstaat, von Wärme über Hollywood bis Baywatch, übertragen sich auf die Geräte.

"Designed by Apple in California" - auch dieser Satz ist Kalkül. Positive Assoziatonen zum Sonnenstaat, von Wärme über Hollywood bis Baywatch, übertragen sich auf die Geräte.

Kuriositäten am Rande: Applehasser werden sich kaum in die Ausstellung verirren. Falls sich doch einer dorthin verläuft, wird er am Ende für sein Durchhaltevermögen belohnt. Der Weg hinaus führt durch eine Galerie mit Großformatdrucken kunstvoll zerschossener, zersägter oder überrollter iPods und iPads. Und wer von der Ausstellung nicht genug bekommt, kann sich Buch (von Grätz) und den Soundtrack (von Monroe) kaufen.

Zur Ausstellung gibt es auch ein Album mit sieben Songs.

Von einer Lokomotive überrollt: iPods.

„Stylectrical – Von Electrodesign, das Geschichte schreibt“ ist ein Pflichtbesuch für alle Fanboys- und girls von Appleprodukten. Allein die vielen, seltenen Geräte die man so sonst nie im Original zu sehen bekommt, sind eine Reise nach Hamburg wert. Man muss sich aber nicht die Hütte mit i-Produkten vollgestellt haben um seinen Spass zu haben und viele Dinge zu lernen. Wer sich nur ein kleines Bisschen für Design interessiert, wird in der Ausstellung Freude haben und viel Wissenwertes erfahren. Vom cleveren Konzept über die fantastische Raumaufteilung und Lichtgestaltung, die klug gewählten Exponate bis hin zu den Interviews: So gelungene Ausstellungen wie „Stylelectric“ gibt es sehr selten.

„Stylectrical – Von Electrodesign, das Geschichte schreibt“
Museum für Kunst & Gerwerbe, Hamburg
Noch bis 15. Januar 2012, tägl. von 11 bis 18 Uhr. Um alle Exponate und Filme zu sehen sollte man mindestens drei Stunden einplanen. Viele Videoleinwände verfügen nur über zwei Kopfhörer, hier kann es zu Wartezeiten kommen.
http://www.stylectrical.de/

Trailer:

Kategorien: Event, Reisen | 2 Kommentare

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2 Gedanken zu „Stylectrical – Von Elektrodesign, das Geschichte schreibt

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